Der Begriff „haptische Einsamkeit“ beschreibt das Gefühl der Isolation und des Mangels an physischem und menschlichem Kontakt. Auch wenn es noch kein wissenschaftlich klar definiertes Phänomen ist, hat sich der Begriff inzwischen durchgesetzt.
Die BARMER Krankenkasse schreibt zu den Ursachen haptischer Einsamkeit unter anderem:
„Bisher lässt sich die Frage nicht hinreichend beantworten, ob mehr Zeit vor dem Bildschirm zum Verlust realer Kontakte führt und ob sich dadurch das Gefühl von Einsamkeit verstärkt. Einige Studien legen aber nahe, dass virtuelle Beziehungen das Gefühl der Einsamkeit verstärken können, indem sie zu einer realen Abnahme zwischenmenschlicher Beziehungen führen.”
Ob digitale Angebote automatisch haptische Einsamkeit begünstigen oder ob es primär auf die Art der Nutzung ankommt, ist aktuell also nicht wissenschaftlich geklärt.
Anne Deremetz von der Eberhard Karls Universität Tübingen spricht in ihrem Artikel aus dem Jahr 2021 an, dass digitale Kommunikationsmöglichkeiten Einsamkeit und Vereinsamung auch entgegenwirken können:
“Für immobile Menschen bringt das Web 2.0 neue Möglichkeiten der sozialen Vernetzung. Digitalisierung kann somit auf der einen Seite als Chance und Instrument gegen die soziale ›Vereinsamung‹ begriffen werden.”
Menschen brauchen Berührung und menschliche Präsenz
Der Leipziger Haptik-Forscher und Psychologe Martin Grundwald vom Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung an der Universität Leipzig wies bereits 2020 im Interview mit den Redaktionsnetzwerk Deutschland darauf hin, dass die haptische Wahrnehmung der Welt und anderer Menschen essenziell für das menschliche Wohlbefinden sind.
Durch den Tastsinn erleben Menschen “… dass es eine dreidimensionale Welt außerhalb unseres Körpers überhaupt gibt”.
Diese Erkenntnisse machen deutlich: Menschen brauchen auch den körperlichen Kontakt und sozialen Umgang mit anderen Menschen. Rein digitale oder telefonische Konversationen reichen auf Dauer nicht aus, um haptischer Einsamkeit entgegenzuwirken.
Wohlfahrtsverbände und Engagierte stehen haptischer Einsamkeit entgegen
Digitale und telefonische Unterstützungsangebote wie beispielsweise die Online-Beratung der Caritas oder Telefonbesuchsdienste sind wichtig und sinnvoll, müssen jedoch um Präsenzangebote ergänzt werden.
Hier sind Fachverbände der Wohlfahrt und Engagierte gefragt, die sprichwörtlich die Hand reichen, ein offenes Ohr haben. Sie wirken durch menschlichen Kontakt und das Angebot der Gemeinschaft der haptischen Einsamkeit entgegen.
Im Erzbistum Paderborn gibt es dafür zahlreiche Angebote und Initiativen, im Folgenden haben wir einige exemplarisch ausgewählt:
- Die Caritas-Konferenzen bieten mit den Kleiderläden in und um Paderborn eine physische Anlaufstelle, die nicht nur Kleidung zum guten Preis, sondern oft auch Kontakte und Gesprächsmöglichkeiten ermöglichen.
- IN VIA Paderborn schafft sowohl mit dem IN VIA Bildungswerk als auch mit Aktionen wie dem Beratungsstellenfachtag an Schulen physische Weiterbildungs- und Kontaktmöglichkeiten für Menschen verschiedener Altersgruppen.
- Der Kreuzbund eröffnet mit seinen zahlreichen Selbsthilfegruppen geschützte Räume und Kontaktgelegenheiten, um sich mit anderen Menschen zu Fragen von Sucht und Abhängigkeit in Präsenz auszutauschen.
- Die Malteser Paderborn schaffen unter dem Motto “Miteinander – Füreinander” beim Wochenendtreff einen Raum für geselliges Beisammensein und ungezwungenen Austausch. Das konkrete Angebot richtet sich an Lippstadt und Umgebung, ähnliche gibt es jedoch auch an anderen Standorten.
- Der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) bietet mit zahlreichen Beratungsstellen von der Schwangerschaftsberatung bis zur psychosozialen Prozessbegleitung zahlreichen physische Anlaufstellen, bei den die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Fragen und Unterstützung bereit stehen.
- Der SKM gibt unter anderem mit dem Programm “Endlich ein Zuhause” wohnungslosen Menschen die Chance auf ein eigenes Zuhause und auf soziale Kontakte und Beziehungen.
- Mit dem Projekt “Den Durchblick behalten” bietet die Vinzenz-Konferenz bei der Beschaffung von Brillen für bedürftige Menschen konkrete Unterstützung vor Ort. So wird die Voraussetzung für die aktive Teilnahme an Präsenzveranstaltungen geschaffen.
Die genannten Beispiele bilden nur einen kleinen Ausschnitt der Angebotsbandbreite der Fachverbände im Erzbistum Paderborn ab. Sie machen jedoch deutlich: Um haptischer Einsamkeit entgegenzuwirken braucht es das Engagement Haupt- und Ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
So unterschiedlich die Arbeitsbereiche und Angebote der sieben Fachverbände auch sind, sie alle eint der Auftrag, Menschen in besonderen Lagen zu begleiten und mit Rat und Tat – in Präsenz und ganz menschlich – zur Seite zu stehen. Gemeinsam stehen die sieben Fachverbände damit gegen haptische Einsamkeit ein, unterstützen mit ihrem Engagement die politischen Strategien gegen Einsamkeit und stärken den gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhalt.
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