CKD Paderborn. Ich wohne in einem Dorf. Scheinbar ist hier „die Welt noch in Ordnung“, wie man so sagt. Jeder kennt jeden, man kümmert sich um seine Nachbarn, die Familien sind noch intakt. Einsam ist man hier doch nicht! Oder?
Als ehrenamtliche Mitarbeiterin meiner Caritas-Konferenz gehe ich zwei Mal im Jahr Spendengelder sammeln: im Frühjahr und im Advent. Die Termine werden vorher in der Presse angekündigt. Ich gehe von Haus zu Haus und bitte um eine Spende für unsere karitative Arbeit. Bei uns auf dem Dorf ist man noch bekannt, und ich werde oft schon von den älteren Mitbürgern erwartet. Im Laufe der Jahre baut sich Vertrauen auf, und man wird Ansprechpartner für so manche Sorgen. „Komm erst mal rein und erzähl mir, was es Neues gibt im Ort.“ So werde ich oft begrüßt.
Bei Frau Kiefer* erfahre ich von ihrem Kummer. Sie kann schon seit einiger Zeit nicht mehr am sonntäglichen Gottesdienst teilnehmen. Ihre Beine machen es nicht mehr mit. Der Gottesdienstbesuch gehörte immer zu ihrem Leben. Wir unterhalten uns eine Weile darüber, wie sehr sich doch alles verändert hat. Zum Ende unseres Gesprächs macht Frau Kiefer schon wieder Späßchen. So kenne ich sie, „nur nicht unterkriegen lassen“ ist ihre Einstellung. Sie sagt mir noch, dass es ihr gut getan habe, einfach mal darüber zu sprechen. Sie sei doch viel alleine. Der Besuch hat ihr offensichtlich deutlich gemacht, dass sie noch dazugehört, dass sie noch wahrgenommen wird.
An der nächsten Haustür öffnet mir Frau Rose*. Sie bittet mich auch herein. Ihr Ehemann ist vor einigen Monaten verstorben. Die beiden waren über 55 Jahre verheiratet. „Ich kann es immer noch nicht glauben“, sagt sie, „er fehlt mir so“. Ihr Sohn ist nach der Trauer wieder im Alltag angekommen. Ihn möchte sie nicht mit ihrem Kummer belasten. Ich höre Frau Rose einfach nur zu. Das scheint ihr gut zu tun. Sie fühlt sich sehr einsam, hat keine erfüllende Aufgabe mehr, wird nicht mehr gebraucht. Ich erzähle ihr von dem monatlich stattfindenden „Kaffeetreff“ unserer Caritas-Konferenz und biete ihr an, sie doch mal dorthin zu begleiten. „Ja meinst du, das wäre was für mich?“ Sie ist ganz skeptisch. Zum nächsten Kaffeetreff darf ich sie dann aber doch bringen.
Später berichtet sie mir, dass es ein sehr schöner Nachmittag gewesen sei. „Die anderen Gäste sind auch oft allein. Aber heute Nachmittag haben wir uns gut unterhalten und auch gelacht. Das hat mir gut getan.“ Seitdem kommt Frau Rose regelmäßig zum Kaffeetreff. Sie wartet schon sehnsüchtig auf den Tag. Mit zwei anderen Damen ist inzwischen ein reger Telefonkontakt entstanden.
Bei mir wächst die Einsicht: Einsamkeit – isoliert sein, das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden – ist also auch bei uns im Dorf ein Thema. Sich als jemand zu „outen“, der einsam ist, traut sich aber kaum jemand. Es gehört viel Aufmerksamkeit und Sensibilität dazu, Menschen in ihrer Verlorenheit und Einsamkeit zu bemerken. Sie aus dieser Situation herauszuholen, ohne sie zu beschämen, empfinde ich als eine besondere Herausforderung. Die Caritas-Sammlung hat sich für mich als ein „neutraler Aufhänger“ herausgestellt. Mit Fingerspitzengefühl dann die betreffenden Menschen aus ihrem „Schneckenhaus“ zu locken und sie mit anderen in Beziehung zu bringen, sehe ich als meine Aufgabe. Dafür sind wir als CKD da.
Cornelia Behrens, Caritas-Konferenz Meggen