Das Bild zeigt den Schriftzug „GEMEINSAM“, wobei die Buchstaben „GEM“ und „EINSAM“ farblich unterschiedlich gestaltet sind, um die Worte „Gemeinsam“ und „Einsam“ hervorzuheben. Darunter steht der Text „Strategie gegen Einsamkeit“. Es handelt sich um ein visuelles Spiel mit den Worten, das den Fokus auf den Gemeinschaftsaspekt als Lösung gegen Einsamkeit lenkt.

Gemeinsam aus der Einsamkeit: Ein Blick über den Tellerrand


„Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl, bei dem die eigenen sozialen Beziehungen nicht den persönlichen Wünschen und Bedürfnissen entsprechen.“ – so ist es beim Kompetenznetz Einsamkeit zu lesen. 

Schon bei dieser Definition wird klar, was die Fachverbände und Engagierten von 7 gegen Einsamkeit in ihrer Arbeit jeden Tag erleben: 

Einsamkeit betrifft fast alle Menschen an irgendeinem Punkt in ihrem Leben. Für manche ist das Gefühl eine kurze Episode, für andere kann Einsamkeit jedoch zu einem langfristigen, alles konsumierenden Problem werden, dass das gesamte Leben einnimmt.

Dabei ist Einsamkeit nicht einfach nur unangenehm oder lästig. Aktuelle Studien zeigen, dass sie sich negativ und die physische und psychische Gesundheit auswirkt. Das geht auch aus dem vor kurzem veröffentlichten ersten Einsamkeitsbarometer für Deutschland hervor. 

Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, hebt in ihrem Statement zum Einsamkeitsbarometer eine weitere gesellschaftliche Gefahr hervor, die mit Einsamkeit einhergehen kann: 

„Einsame Menschen nehmen seltener an Wahlen teil und engagieren sich weniger. So bleibt Einsamkeit ein drängendes Problem und schadet uns als Gesellschaft.“

Anders formuliert: Einsamkeit verhindert soziale und gesellschaftliche Teilhabe und trägt dadurch auch zur weiteren gesellschaftlichen Spaltung und Isolation bei. 

Einsamkeitsstrategien und Bündnisse in ganz Europa

Die Risiken und Bedeutung von Einsamkeit hat auch die deutsche Bundesregierung erkannt. Ende 2023 verabschiedete sie die „Strategie gegen Einsamkeit“, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend umgesetzt wird. 

Ein Teil dieser Strategie ist die Förderung des bereits erwähnten Kompetenznetz Einsamkeit und die Aktionswoche „Gemeinsam aus der Einsamkeit“, die heute am 17. Juni 2024 beginnt und bis einschließlich Sonntag, 23. Juni 2024 andauert. 

Bei 7 gegen Einsamkeit beteiligen wir uns mit dem heutigen Artikel und täglichen Beiträgen in den Social Media an der Aktionswoche. Die Fachverbände von 7 gegen Einsamkeit bieten zudem seit Jahren zahlreiche Angebote gegen Einsamkeit und für mehr soziale Teilhabe an, von denen im Folgenden noch die Rede sein wird. 

Die Aktionswoche ist für uns auch Gelegenheit, den Blick zu weiten und das Motto „Gemeinsam aus der Einsamkeit“ europäisch und international zu verstehen.

Denn so lobenswert die „Strategie gegen Einsamkeit“ der Bundesregierung und die Initiative „Nordrhein-Westfalen gegen Einsamkeit“ der Landesregierung in NRW auch sind: Vergleichbare Strategien und Bündnisse gibt es in Europa und international bereits seit Jahren. 

Von Einsamkeitsbeauftragten, Plauderkassen und Plattformen 

Seit 2021 gibt es in Japan einen offiziellen Einsamkeitsbeauftragten, Vorreiter war jedoch Großbritannien, das 2018 ein Ministerium und eine Beauftragte gegen Einsamkeit etablierte. 

2019 erklärte die erste britische Ministerin für Sport, Zivilgesellschaft und Einsamkeit, Miriam Jane Alice „Mims“ Davies, im Interview mit Christoph Wand, Pressesprecher der Diakonie Düsseldorf, wie sie ihre Aufgabe versteht: 

„Einsamkeit ist natürlich ein sehr persönliches Problem, doch wir brauchen eine Diskussion auf nationaler Ebene, um das Bewusstsein für dieses Pro­blem zu steigern, den Makel zu reduzieren und den Menschen dabei zu helfen, zu verstehen, dass sie in ihrer Einsamkeit nicht allein sind. Darum ist die Arbeit der Regierung so wichtig. Wir schaffen für die Menschen mehr Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen, und ermutigen ausdrücklich Junge und Alte, es auch zu sagen, wenn sie sich isoliert fühlen und Unterstützung brauchen.“

Ein Teil der internationalen Zuschriften dürfte vermutlich aus den Niederlanden gekommen sein. Denn dort geht die Regierung bereits seit 2014 mit einem nationalen Programm gegen Einsamkeit vor. 

Eine der bekanntesten Maßnahmen dieses Programms sind die bei der Supermarkt Kette Jumbo gestarteten Kletskassa, im Deutschen oft als Plauderkasse bezeichnet. Diese Kassen sind bewusst so angelegt, dass Menschen sich Zeit lassen und miteinander ins Gespräch kommen können. 

Das Modell inspiriert auch andere Länder, konkret die Schweiz. In Basel begann im Oktober 2022 das Projekt „Plauderkasse“ bei der Supermarktkette Migros. In Deutschland wird über diesen Ansatz immer wieder diskutiert, flächendeckend umgesetzt wurde er jedoch noch nicht. 

In den Niederlanden gibt es noch weitere Maßnahmen gegen Einsamkeit. Eine davon ist die Plattform „join us“ die sich als digitales Angebot gezielt an Jugendliche und junge Menschen richtet. Durch den digitalen Zugang werden sie niedrigschwellig erreicht und das Thema enttabuisiert.

Ein weiteres Angebot ist das „Restaurant des Herzens“ in Amsterdam. Hier dient das Essen dazu, Menschen ins Gespräch zu bringen und neue Kontakte zu ermöglichen. Der Mittagstisch „Ma(h)lzeit“ in Menden zeigt, dass diese Ansätze auch in Deutschland funktionieren.

Individualisierung als Treiber der Einsamkeit? 

In Frankreich wird in der aktuellen Einsamkeitsstudie vor allem die voranschreitende Individualisierung als wichtiger Faktor beim Thema Einsamkeit identifiziert. Matthias Krieg, Geschäftsführer der Vinzenz-Konferenzen im Erzbistum Paderborn, hat die Studie für uns gelesen und fasst seine Erkenntnisse im Folgenden zusammen: 

Gastbeitrag von Matthias Krieg

Eine beliebte Szene im französischen Film: Auf einer sattgrünen Wiese im Schatten großer Bäume ist eine lange Tafel mit Speis und Trank aufgebaut, an der eine bunt zusammengewürfelte Gruppe Platz nimmt. Niemand ist ausgeschlossen, alle sind einbezogen.

Vor Jahren gab es die aufschlussreiche Studie eines französischen Soziologen, der die Veränderung bei gemeinsamen Mahlzeiten beschrieb. Quintessenz: Im Zuge einer zunehmenden Individualisierung, die auch in Frankreich zu beobachten ist, suche ich mir aus, mit wem ich wann und wo esse. Schlecht für die, die dann nicht zu den favorisierten Tischgenoss*innen zählen und ihre Mahlzeit allein verzehren müssen. 

Gemeinsames Essen hat für Menschen schon immer eine wichtige soziale Bedeutung gehabt. Ist es doch auch Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Wo es an diesem Eingebundensein fehlt, steigt die Gefahr, einsam zu sein.

Einsamkeit ist also auch ein Thema bei unseren französischen Nachbar*innen. Sie nehmen dies schon seit vielen Jahren ernst, erschien doch im Januar 2024 schon die 13. Ausgabe der jährlichen Studie über Einsamkeit in Frankreich.

Ergebnisse der Untersuchungen

Im Jahr 2023 befinden sich 12 % der Franzosen in einer Situation der totalen Isolation, und jede*r Dritte hat kein oder nur ein soziales Netzwerk (Freunde, Nachbar*innen, Familie, Kolleg*innen oder Vereine). Die Schwäche der sozialen Interaktionen betrifft weiterhin vorrangig die Ärmsten. Was das Gefühl der Einsamkeit betrifft, so leiden 83 % der isolierten Menschen unter dieser Situation, ein Anstieg von 4 Punkten im Vergleich zu 2020.

Unter den Menschen zwischen 15 und 25 Jahren fühlen sich 26 % allein. Das ist deutlich höher als der Durchschnitt bei der Gesamtbevölkerung. Der Prozentsatz verdoppelt sich bei den jungen Menschen nahezu, wenn es Sommer ist und sportliche Angebote und das Vereinsleben in den Sommerferien ruhen.

Wenn sich die Betroffenen etwa an die Telefonseelsorge wenden, sprechen sie selten davon, einsam zu sein. Vielmehr beschreiben sie ihre Symptome: „Ich sehe meine Familie nicht“, „ich habe hier vor Ort keine Freundinnen“, „mir geht’s nicht gut, ich möchte am liebsten am Telefon bleiben, auch wenn ich nichts Besonderes erzählen kann“.

Große Abweichungen von der Situation, wie wir sie für Deutschland beschreiben würden, sind bei dem französischen Befund nicht zu erkennen.

Ansatzpunkte, der Einsamkeit entgegenzutreten, sind hier wie da vergleichbar. Dass Armut Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verhindert und Isolierung Vorschub leistet, wird durch die französischen Daten des diesjährigen Berichtes unterstrichen.

Armutsbekämpfung, die auch in Frankreich caritative Organisationen leisten, ist also ein wichtiger Hebel um Isolation zu überwinden. Politik ist hier gefragt, um ein auskömmliches Einkommen für alle zu sichern. Und jede und jeder Einzelne ist gefragt, z.B. zum gemeinsamen Mahl einzuladen.

Ma solitude wird immer und in unterschiedlichen Lebenssituationen besungen werden. Das heißt nicht, dass wir uns mit ihr abfinden müssen.

Gemeinsam gegen Einsamkeit: Ein Motto, dem (mehr) Taten folgen sollten

Einsamkeit ist als Thema in den letzten Jahren in den Fokus der politischen und medialen Aufmerksamkeit gerückt. Die stärkere Förderung der Einsamkeitsforschung und zahlreicher Kommunikationsprojekte ist eine positive Auswirkung dieser Entwicklung. 

Doch so lobenswert und wichtig diese Projekte auch sind: Die eigentliche Arbeit und das konkrete Engagement gegen Einsamkeit, die Angebote für gesellschaftliche Teilhabe, werden von Fachverbänden, Einrichtungen, Haupt- und Ehrenamtlichen des sozialen Bereiches und der Wohlfahrt geleistet. 

Angebote und Initiative im Rahmen des Projekts „Miteinander-Füreinander“, wie sie von den Maltesern in der Diözese Paderborn durchgeführt wurden und werden, bieten ehrenamtlichen Engagement-Möglichkeiten gegen Einsamkeit. 

Junge Menschen und Jugendliche werden mit Aktionen wie dem „Beratungsstellenfachtag an Schulen zu Einsamkeit“ erreicht. Er wurde gemeinsam von IN VIA Paderborn und der AG Einsamkeit des DiCV Paderborn durchgeführt.

Es sind ehrenamtliche Engagierte der Caritas-Konferenzen in Olpe, die mit der Krankenhaus-Hilfe-Gruppe Menschen in schwierigen Lebenssituation Hoffnung geben und Kontakt ermöglichen. Angebote wie der Männertreff in Brilon, organisiert von Ehrenamtlichen der dortigen Vinzenz-Konferenz, sind es, die Menschen erreichen, ihnen Anlaufstellen, Teilhabe- und Engagement-Möglichkeiten bieten.

Diese und viele weitere Angebote führen die Fachverbände von 7 gegen Einsamkeit, zusammen mit vielen weiteren sozialen Einrichtungen und Trägern, während und nach Aktionswoche regelmäßig durch.

In den Strategien der Landes- und Bundesregierung werden diese Arbeit und das damit verbundene Engagement zwar gelobt, jedoch nicht mit den nötigen Ressourcen und (finanziellen) Mitteln ausgestattet.

Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa erinnerte an dieses Spannungsfeld bereits m Dezember 2023 in Bezug auf die „Strategie gegen Einsamkeit“ der Bundesregierung: 

„Sich einerseits die Bekämpfung von Einsamkeit auf die Fahne schreiben und gleichzeitig die freien Träger finanziell schwächen, das geht nicht.“

Daher ist unsere Bitte an Politik: Lassen Sie uns das Motto der Aktionswoche „Gemeinsam aus der Einsamkeit“ ernst nehmen und die dafür nötigen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen schaffen.

Denn wir sind uns einig: Einsamkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Wir kommen nur gemeinsam aus der Einsamkeit. 


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